Pflegefachkräfte verordnen Hilfsmittel

Sie waren schon immer der Meinung, dass Pflegefachkräfte Hilfsmittel verordnen sollen? 

Erfahren Sie, was zu beachten ist…

„Hilfsmittel, da braucht es doch eine ärztliche Verordnung…“ So denken die meisten Menschen. Aber weit gefehlt, es geht auch ohne. Bei der Beantragung von Hilfsmitteln ist es zwar aus historischen Gründen in der Praxis durchaus üblich, dass eine ärztliche Verordnung verlangt wird, obwohl die Verordnung durch einen Vertragsarzt oder eine Vertragsärztin nach § 33 SGB V und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur in besonderen Fällen notwendig ist.

So ist für bestimmte Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel auch eine verbindliche Empfehlung durch Gutachter der Medizinischen Dienste (§ 18 Abs. 6a SGB XI) und seit dem 01.01.2022 auch durch Pflegefachkräfte im Rahmen der Ausübung ihrer Leistungserbringung möglich. Die Grundlagen dafür finden sich in § 40 Abs. 6 SGB XI. Diese Empfehlungen ersetzen dann die ärztliche Verordnung gemäß Hilfsmittel-Richtlinie und binden die Kranken- bzw. Pflegekasse in der Versorgung. Eine (zusätzliche) ärztliche Verordnung darf dann nicht mehr durch die Kasse gefordert werden und betrifft die folgenden Produktarten (Bundestagsdrucksachen BT-Drs. 19/30560 S. 61 in Verbindung mit BT-Drs.18/5926 S. 90 und BT-Drs.18/6688 S.139):

Insbesondere Diese Hilfsmittel darf eine Pflegfachkraft EMpfehlen
  • Adaptionshilfen (z.B. Strumpfanziehhilfen, Greifhilfen)
  • Badehilfen (z.B. Badewannenbretter, Badewannenlifter, Duschhocker, fahrbare Duschstühle),
  • Gehhilfen (z.B. Gehböcke, Rollatoren, Deltaräder) 
  • Hilfsmittel gegen Dekubitus (z.B. Antidekubitussitzkissen, -matratzen, aktive und passive Systeme)
  • Inkontinenzhilfen (z.B. Inkontinenzvorlagen, Netzhosen, Inkontinenzpants, Bettschutzeinlagen)
  • Kranken- oder Behindertenfahrzeuge (z.B. Rollstühle)
  • Krankenpflegeartikel (z.B. behindertengerechte Betten, Aufstehbetten, Rückenstützen)
  • Lagerungshilfen (z.B. Beinlagerungshilfen, Lagerungskeile)
  • Mobilitätshilfen (z.B. Drehscheiben, Dreh- und Übersetzhilfen, Rutschbretter, Katapultsitze, Fahrbare Lifter, Deckenlifter, Bettleitern)
  • Stehhilfe
  • Stomaartikel
  • Toilettenhilfen (z.B. Toilettensitzerhöhungen, Toilettenstühle) 
  • Pflegehilfsmittel zur Erleichterung der Pflege (z.B. Pflegebetten, Niedrigbetten, Schwerlastbetten)
  • Pflegehilfsmittel zur Körperpflege/Hygiene und zur Linderung von Beschwerden (z.B. Urinflaschen, -schiffchen, Steckbecken, Bettschutzeinlagen, Kopfwaschsysteme, Lagerungsrollen)
  • Pflegehilfsmittel zur selbstständigeren Lebensführung / Mobilität ( z.B. Notrufsysteme, Pflegerufsysteme, Hilfsmittel zur Verbesserung kognitiver und kommunikativer Fähigkeiten)
  •  Zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (z.B. Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel)
  •  Sonstige unmittelbar alltagsrelevante Pflegehilfsmittel
Nicht jede Kranken- oder Pflegekasse mag dies hören, aber…

Wie bereits vor einigen Jahren bei der Einführung der verbindlichen Empfehlung durch Gutachter der Medizinischen Dienste (§ 18 Abs. 6a SGB XI) probieren einige Kassen der GKV es erst mal wieder, dieses Verfahren einzuschränken. Die AOK Bayern z.B. beruft sich regelhaft auf die – mit Vorsicht zu lesenden – Erläuterungen des GKV-Spitzenverbands und schreibt beispielsweise bei Dekubitusprodukten aber auch vielen Rollstühlen, dass es sich nicht um ein Pflegehilfsmittel handele. Sie nimmt also an, nur Pflegehilfsmittel können nach § 40 Abs. 6 SGB XI empfohlen werden. Das ist falsch, denn es heißt konkret in § 40 Abs. 6 Satz 1 SGB XI:

„Pflegefachkräfte können im Rahmen ihrer Leistungserbringung nach § 36, nach den §§ 37 und 37c des Fünften Buches sowie der Beratungseinsätze nach § 37 Absatz 3 SGB XI  konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel-  und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben“

Hier sind also schonmal Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel vorgesehen. Zudem werden durch § 40 Abs. 6 Satz 2 SGB XI auch die doppelfunktionalen Hilfsmittel eröffnet („Hilfsmittel nach Absatz 5“). Dies ist jedoch immer noch sehr unkonkret. Doch ein Blick in die Gesetzesmaterialien hilft. 

In der erläuternden Bundestags-Drucksache BT-Drs.19/30560 heißt es dazu auf Seite 61:

„Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, zugleich nach § 53 Satz 1 die Aufgaben des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen wahrnehmend, wird beauftragt, in Richtlinien bis zum 31. Dezember 2021 die Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die sich für das Verfahren eignen, und die hierfür erforderliche Eignung der Pflegefachkraft sowie das Nähere zur Empfehlung bei Antragstellung festzulegen. Dabei sind insbesondere diejenigen (doppelfunktionalen) Hilfsmittel und diejenigen Pflegehilfsmittel, deren Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit nach einer Empfehlung durch Pflegefachkräfte der Medizinischen Dienste im Rahmen der Pflegebegutachtung ebenfalls vermutet wird (§ 18 Absatz 6a SGB XI), einzubeziehen.“ 

Das Verfahren ist an sich unstrittig, nur um die Frage, welche Hilfsmittel tatsächlich verbindlich verordnet werden können, gibt es Diskussionen. Aus der o.g. Formulierung „insbesondere“ wird aber deutlich, dass man die o.g. Produkte unstrittig von der Regelung erfasst sieht. Und in der Tat, zu den Regelungen nach § 18 (6a) SGB XI findet man nun in den BT-Drs.18/5926 auf Seite 90 und in der BT-Drs.18/6688 auf Seite 139 welche Hilfsmittel dies konkret sind. Und da sind alle eingangs genannten Produkte und Hilfsmittel eingeschlossen. In der BT-Drs.18/5926 Seite 90 heißt es etwa:

 „Aufgrund des Verzichts auf eine ärztliche Einbindung gilt diese Regelung nur für solche Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die den Zielen des § 40 entsprechen. Dies sind: Adaptionshilfen (z. B. Strumpfanziehhilfen, Greifhilfen), Badehilfen (z. B. Badewannenbretter, Badewannenlifter, Duschhocker, fahrbare Duschstühle), Gehhilfen (z. B. Gehböcke, Rollatoren, Deltaräder), Hilfsmittel gegen Dekubitus (z. B. Antidekubitussitzkissen, Antidekubitusauflagen, Antidekubitusmatratzen, aktive und passive Systeme), Inkontinenzhilfen (z. B. Inkontinenzvorlagen, Netzhosen, Inkontinenzpants, Bettschutzeinlagen), Kranken- oder Behindertenfahrzeuge (z. B. Rollstühle), Krankenpflegeartikel (z. B. behindertengerechte Betten, Stehbetten, Aufrichthilfen, Rückenstützen), Lagerungshilfen (z. B. Beinlagerungshilfen, Lagerungskeile), Mobilitätshilfen (z. B. Drehscheiben, Dreh- und Übersetzhilfen, Rutschbretter, Katapultsitze, Bettleitern), Stehhilfen, Stomaartikel, Toilettenhilfen (z. B. Toilettensitzerhöhungen, feststehende Toilettenstühle oder Toilettenstühle auf Rollen), Pflegehilfsmittel zur Erleichterung der Pflege, Pflegehilfsmittel zur Körperpflege oder Hygiene (z. B. Urinflaschen, Urinschiffchen, Steckbecken, saugende Bettschutzeinlagen, Kopfwaschsysteme), Pflegehilfsmittel zur selbständigeren Lebensführung oder zur Mobilität, Pflegehilfsmittel zur Linderung von Beschwerden, zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel (z. B. Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel) sowie sonstige unmittelbar alltagsrelevante Pflegehilfsmittel. Die Art, die Ausführung und die benötigte Menge der genannten Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel sind vom Gutachter bei der Begutachtung festzulegen.“

In den vorgenannt zitierten „Begutachtungsrichtlinien zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit“ des GKV-SV findet sich auf Seite 94 zudem diese Aussage des GKV-Spitzenverbands / MD-Bund:

„Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die den Zielen des § 40 SGB XI entsprechen, sind: Adaptionshilfen, Bade- und Duschhilfen, Gehhilfen, Hilfsmittel gegen Dekubitus, Inkontinenzhilfen, Kranken- oder Behindertenfahrzeuge, Krankenpflegeartikel, Lagerungshilfen, Mobilitätshilfen, Stehhilfen, Stomaartikel, Toilettenhilfen, Pflegehilfsmittel zur Erleichterung der Pflege, Pflegehilfsmittel zur Körperpflege/Hygiene und zur Linderung von Beschwerden, Pflegehilfsmittel zur selbständigeren Lebensführung oder zur Mobilität, zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel sowie sonstige unmittelbar alltagsrelevante Pflegehilfsmittel.“

In den „Richtlinien zur Empfehlung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln durch Pflegefachkräfte gemäß § 40 Absatz 6 SGB XI“ schreibt der GKV-SV aber nun ein wenig abweichend: „Ausweislich der Gesetzesbegründung zum GVWG beziehen sich solche Empfehlungen ausschließlich auf Hilfsmittel oder Pflegehilfsmittel, die den Zielen nach § 40 Absatz 1 Satz 1 SGB XI dienen“ ohne dies weiter zu konkretisieren. 

Die – mit Vorsicht zu genießenden – Vorgaben des GKV-Spitzenverbands inklusive Verordnungsformular finden Sie hier:  Externer Link 

Im Anhang II der Vorgaben findet sich zwar eine Liste, doch mutet diese bei näherer Betrachtung eher willkürlich an. Wie bereits aber durch die Begutachtungsrichtlinie und die BT-Drs. definiert, umfassen die Empfehlungsmöglichkeit aber gerade alle o.g. Hilfsmittel. Indes werden diese nicht vom GKV-SV im Anhang II der Empfehlungen aufgeführt. Wobei dazu anzumerken ist, dass der Anhang II auch andere Hilfsmittel ausschließt, in sich jedoch inkonsequent und aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar ist, somit sehr willkürlich anmutet und damit angreifbar ist. Somit bewegen wir uns hier in einem etwas unscharfen Rechtsbereich, der erst noch „sortiert“ werden muss. Andere Kassen erkennen etwa Dekubitushilfsmittel und Rollstühle aller Art durchaus an. Insgesamt also doch eher Indizien in die positive Richtung.


Hier finden Sie einen Auszug aus unserem Tagesseminar „Hilfsmittelverordnung für Pflegefachkräfte“  Gern schulen wir auch Sie. Fragen Sie uns!

 …und bei Fragen stehen wir gerne zur Verfügung!